„Wo immer man sich auf das Leben einlässt, wird man enttäuscht. Alles dauert entweder zu lange oder nicht lange genug“.
(Oscar Wilde)
Alle Menschen erleben und kennen Enttäuschungen. Aber der Umgang damit, die Reaktion darauf und die Schwelle, negativ auf Enttäuschungen zu reagieren sind sehr unterschiedlich. Probleme entstehen, wenn auf Enttäuschung sehr impulsiv reagiert wird, vor allem mit verbaler oder gar physischer Aggression. Dieses Verhalten wird als Frustrationsintoleranz bezeichnet und ist oft mit Suchtstörungen, Antisozialität und Narzissmus assoziiert. Frustrationsintoleranz tritt bei Männern und Frauen in etwa gleich häufig auf. Der Umgang damit ist jedoch unterschiedlich. Männer reagieren häufiger darauf mit Substanzkonsum und Gewalt als Frauen.
Am anderen Ende des Reaktionsspektrums befinden sich Menschen, die übermäßig stark auf Enttäuschungen reagieren, weil bei ihnen die Wahrnehmungsschwelle, was überhaupt enttäuschend ist, geringer ist als bei anderen. Diese Menschen erscheinen schwernehmend, leicht kränkbar und hochsensibel. Sie sind für die Emotion „Enttäuschung“ vulnerabler und sensibler als andere. Beide Gruppen – die impulsiv-explosiblen (vgl. Impulsivität und Sucht – Ursachen, Folgen, Zusammenhänge) und die hochsensibel-schwernehmenden (vgl. Männerdepression und Suchtstörungen) – sind für Suchtstörungen besonders gefährdet.
Viele Suchtkranke berichten von einem Leben voller Enttäuschungen schon vor ihrer Erkrankung. Da die Sucht schleichend und kaum merklich, begleitet von vielen kognitiven Abwehrmechanismen (vgl. Kognitive Abwehrmuster und Lügen bei Suchtkranken: Die innere Psychologik der Sucht, kognitive Abwehrmuster und das Realitätsprinzip) entsteht, kommen auf die Dauer weitere Enttäuschungen dazu. Man kann mit Substanzkonsum seiner persönlichen Welt der Enttäuschungen nicht entfliehen. Dafür bedarf es anderer Wege (siehe die 11 Tipps zur Bewältigung und Veränderung am Ende des Textes).
Inhaltsübersicht
Was ist überhaupt eine Enttäuschung?
Das Gefühl einer Enttäuschung hängt eng mit den Zielen und der Motivation der Zielerreichung einer Person zusammen. Enttäuschungen können niederschmetternd sein und auf Dauer zu Depression und Verbitterung führen, sie können aber auch Ansporn für mehr Anstrengung und ein besseres Gelingen sein. Auch eine Veränderung der gesetzten Ziele – sie waren zu hoch oder unrealistisch – kann die geeignete Konsequenz sein.
Enttäuschung ist ein Gefühl, das auftritt, wenn eine Person nicht die erwarteten Ergebnisse oder Resultate erhält. Es kann auftreten, wenn etwas, worauf man gehofft oder gewartet hat, nicht eintrifft oder nicht den Erwartungen entspricht. Auf jeden Fall besteht eine Diskrepanz zwischen Erwartungen und Hoffnungen einerseits und der Realität andererseits. Enttäuschung kann aus verschiedenen Situationen resultieren, sei es aus persönlichen Beziehungen, beruflichen Erfahrungen, persönlichen Zielen oder allgemeinen Erwartungen an das Leben. Es ist ein emotionales Erlebnis, das oft mit Gefühlen wie Traurigkeit, Frustration, Wut oder Resignation verbunden ist. In einer Enttäuschungssituation ist das Individuum gefordert zu reagieren. Es kann sich (a) von der Enttäuschung entmutigen und niederschmettern lassen, woraufhin depressive und selbstabwertende Gedanken folgen, (b) von dem Gefühl der Enttäuschung abwenden, diese ignorieren oder abwehren, was am besten mit Substanzen geschieht oder (c) daraus rationale und passende Verhaltenskonsequenzen ziehen.
Folgen häufiger Enttäuschungen
Häufige Enttäuschungen können eine Vielzahl von Auswirkungen haben, sowohl auf emotionaler als auch auf mentaler Ebene:
- Emotionale Belastung und Erwartungsangst: Wiederholte Enttäuschungen können zu einem Anstieg negativer Emotionen wie Traurigkeit, Frustration, Ärger oder sogar Depression führen. Diese Emotionen wirken sich negativ auf das allgemeine Wohlbefinden, die psychische Gesundheit und das Selbstwertgefühl auswirken. Sie wirken wie starker psychischer Stress. Es kann in der Folge auch zu einer Erwartungsangst im Hinblick auf weitere Enttäuschungen kommen.
- Vertrauensverlust und Vereinsamung: Wenn Enttäuschungen in zwischenmenschlichen Beziehungen auftreten, kann dies zu einem Verlust des Vertrauens in andere Menschen führen. Betroffene können Schwierigkeiten haben, anderen zu vertrauen, da sie befürchten, erneut enttäuscht zu werden. Es entwickelt sich eine Spirale aus Enttäuschungserwartung, Misstrauen, Rückzug und Einsamkeit.
- Risikoaversion und sozialer Rückzug: Menschen, die wiederholt enttäuscht wurden, neigen oft dazu, Risiken und neue Herausforderungen zu meiden. Sie können zögerlich werden, neue Chancen zu ergreifen oder sich auf neue Beziehungen oder Unternehmungen einzulassen. Dies geschieht aus Angst vor erneuter Enttäuschung. Es führt dann zu einem Muster von Ängstlichkeit und Rückzug, das für die Umwelt oft nicht nachvollziehbar ist.
- Gesundheitliche Auswirkungen: Chronische Enttäuschungen können zu dauerhaftem psychischem Stress führen, der sich dann negativ auf die gesamte Gesundheit auswirkt. Langfristiger Stress ist mit einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen verbunden, darunter Herzkrankheiten, Schlafstörungen, Depression, Sucht und einem geschwächten Immunsystem.
- Substanzkonsum und Sucht: Menschen mit einer Geschichte von chronischen Enttäuschungen – oft schon beginnend in der Kindheit – greifen häufiger zu Alkohol und anderen Substanzen. Sie wollen dann dieses unangenehme Gefühl „wegmachen“, schnell und vollständig. Dies gelingt auch, aber immer nur kurzfristig. Es entsteht ein Teufelskreis aus immer mehr Enttäuschungen und immer mehr Substanzkonsum.
- Negative Denkmuster und Pessimismus: Wiederholte Enttäuschungen können dazu führen, dass Menschen negative Denkmuster entwickeln, wie zum Beispiel die Erwartung, dass Dinge immer schief gehen oder dass sie nicht würdig sind, Erfolg zu haben. Diese negativen Denkmuster können ihre Fähigkeit beeinträchtigen, neue Möglichkeiten zu erkennen oder überhaupt positiv zu denken. Es entwickelt oder verstärkt sich eine pessimistische Grundhaltung. Die erlebten Enttäuschungen werden als Beweis der eigenen Unfähigkeit und Negativität generalisiert. Es ist dann nötig, zu einer neuen, realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, Fehler und Grenzen zu kommen.
- Soziale Isolation und Vereinsamung: Menschen, die wiederholt enttäuscht wurden, ziehen sich oft zurück und meiden soziale Kontakte, um weitere Enttäuschungen zu vermeiden. Dieses Vermeidungsverhalten entlastet sie kurzfristig von der Angst vor neuen Enttäuschungen, führt aber längerfristig zu sozialer Isolation und Vereinsamung, und damit zu einer globalen Enttäuschung vom Leben. Der Rückzug erschwert und verhindert auch die Bildung unterstützender Netzwerke und soziale Beziehungen.
- Geringe Motivation und Selbstvertrauen: Fortwährende Enttäuschungen können insgesamt die soziale und leistungsbezogene Motivation verringern und das Selbstvertrauen schwächen. Betroffene fühlen sich oft entmutigt und sind weniger bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen oder ihre Ziele zu verfolgen.
Bei andauernden, überwältigenden Enttäuschungen sollte aktive Gegenwehr und Bewältigung stattfinden, um gegen die drohenden negativen Folgen (siehe Punkte 1 bis 8) anzugehen, das psychische Gleichgewicht zu erhalten oder wiederherzustellen. Menschen reagieren auf Enttäuschungen sehr unterschiedlich. Gerade, wenn viele Enttäuschungen erlebt wurden, und Menschen sich Hoffnung und Optimismus erhalten haben, können sie Wege finden, wie der Umgang mit multiplen Enttäuschungen gelingen kann. Ein gesundes Maß an Resilienz und die Fähigkeit, aus Enttäuschungen zu lernen und sich weiterzuentwickeln, können helfen, die negativen Auswirkungen zu mildern. Wenn Du mehr Widerstandskraft gegen dauerhafte Enttäuschungen brauchst, schaue Dir die 11 Tipps am Ende des Beitrags an.
Enttäuschungen sind Teil des Lebens sind und jeder Mensch sie gelegentlich erlebt. Es ist jedoch entscheidend, Wege zu finden, um mit Enttäuschungen konstruktiv umzugehen, sie als Gelegenheit zur persönlichen Entwicklung zu betrachten und Unterstützung zu suchen, wenn sie belastend werden.
Enttäuschungen und Suchtentwicklung
Bei der Entstehung von Suchtkrankheit können chronische Belastungen eine wichtige Rolle spielen, insbesondere wenn die betroffene Person früh die betäubende, alles ins Gleichgültige (Gleichgültigkeit – das seltsame Gefühl der Gefühllosigkeit (Sucht und Emotionen #3)) oder gar in Glücksgefühle verändernde Wirkung der konsumierten Substanz verspürt. Enttäuschungsgefühle auf diese Art abzuwehren, macht es überflüssig, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, verhindert eventuell eine depressive Entwicklung und führt zu Abwehr und Verzerrung der eigenen Lage. Langfristig verschlimmert sich die persönliche Situation, die Zahl der Enttäuschungen durch andere und sich selbst nimmt zu.
Der Teufelskreis der Sucht ist perfekt. Erst durch grundsätzliche Einstellungs- und Verhaltensänderungen auf der Basis von Selbstreflektion und Realitätsprinzip kann ein Durchbruch zu neuen und anderen Lösungen geschehen. In einem tieferen Sinn bedeutet “Enttäuschung” nämlich die Aufhebung oder Umkehrung einer Täuschung. Dies kann eine Fremd- wie auch eine Selbsttäuschung sein. Es beschreibt den Zustand, wenn die Realität nicht den vorherigen Erwartungen oder Illusionen entspricht, wenn etwas sich als anders herausstellt, als man es erhofft oder erwartet hat. Dann ist es besser, Erwartungen, Einstellungen und Beziehungen zu verändern. Wie dies genau gelingen kann, wird in den folgenden 11 Tipps beschrieben.
Enttäuschung: Tipps zum besseren Umgang
- Reflektion über eigene Denk- und Verhaltensmuster: Nimm Dir Zeit, um Dich selbst zu reflektieren und Muster in deinen Enttäuschungen zu erkennen. Gibt es bestimmte Situationen, Menschen oder Verhaltensweisen, die immer wieder zu Enttäuschungen führen? Strebst Du immer wieder unrealistische Ziele an? Bist Du zu perfektionistisch mit Dir selbst? Das Erkennen solcher Muster kann der erste Schritt sein, um sie zu durchbrechen. Manche Erkenntnisse dabei werden schmerzhaft sein, aber denke daran, dass eine Musterveränderung Dir langfristig hilft.
- Grenzen setzen: Lerne, Deine Grenzen richtig zu setzen und in fürsorglicher Weise für Dich einzustehen. Manchmal können Enttäuschungen vermieden werden, indem man rechtzeitig klare Grenzen in Beziehungen setzt und nicht zulässt, dass sie überschritten werden. Das mag kurzfristig hart erscheinen, schützt aber auf Dauer vor Frustration und Enttäuschung.
- Nicht betäuben: Es ist kurzfristig einfach und wirksam, Enttäuschungen und den daraus resultierenden inneren Schmerz mit Substanzkonsum zu betäuben. Langfristig hilft das aber nicht und macht alles nur noch schlimmer. So kommen noch mehr Enttäuschungen dazu. Versuche es ohne die Betäubung mit Alkohol, Drogen, Glücksspiel, exzessivem Essen oder anderen Mitteln! Im Folgenden kommen einige Alternativen zum Substanzkonsum.
- Distanzieren und Loslassen: Es ist von großer Wichtigkeit zu lernen, Dinge und Menschen loszulassen, die uns immer wieder und somit dauerhaft enttäuschen und nicht guttun. Das bedeutet nicht unbedingt, sie aus unserem Leben zu verbannen, sondern vielmehr, unsere Erwartungen an sie anzupassen und uns von ihren negativen Einflüssen zu distanzieren.
- Persönliche Stärkung: Investiere Zeit und Energie in deine persönliche Entwicklung und Stärkung! Es ist der beste Weg für Deine Zukunft. Das kann bedeuten, neue Fähigkeiten zu erlernen, Selbstvertrauen aufzubauen oder an Deinem Selbstwertgefühl zu arbeiten. Das kannst Du alleine tun, aber vor allem in Zusammenarbeit mit Menschen, die Dein Vertrauen verdienen: wirklich gute Freunde oder Psychotherapeuten, die Dich spürbar verstehen und akzeptieren.
- Es gibt professionelle Hilfe für Dich: Wenn dauerhafte Enttäuschungen Deine Lebensqualität stark beeinträchtigen oder Du Schwierigkeiten hast, alleine damit umzugehen, scheue Dich nicht davor, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen! Wenn Du ständig an erlebte Enttäuschungen denken musst und diese Erinnerungen Dich beherrschen, gehe den Weg der Distanzierungen davon! Das geht meist nicht mehr alleine. Sei es Dir selbst wert, Hilfe für Dich zu besorgen! Ein Psychotherapeut oder Berater kann Dir dabei helfen, die zugrunde liegenden Ursachen zu identifizieren und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
- Akzeptanz und Vergebung: Manchmal ist es notwendig, Enttäuschungen zu akzeptieren und anderen sowie dir selbst zu vergeben. Vergebung kann ein wichtiger Schritt sein, um Frieden mit der Vergangenheit zu schließen und loszulassen. Du profitierst von Vergebung noch mehr als andere!
- Fokus auf Selbstfürsorge: Konzentriere Dich darauf, gut für Dich selbst zu sorgen! Das kann bedeuten, regelmäßig Sport zu treiben, gesund zu essen, genug Schlaf zu bekommen und Zeit für Entspannung und Erholung einzuplanen. Hilfreiche Kontakte mit Menschen Deines Vertrauens gehören auf jeden Fall auch dazu.
- Perspektivenwechsel: Versuche, eine positive und konstruktive Einstellung zu Dir selbst und zum Leben zu entwickeln, selbst in schwierigen Situationen. Selbst wenn Dich so vieles stört und niederdrückt, sorge für eine positive und konstruktive innere Stimmung! Suche nach Lektionen und Wachstumschancen, die sich aus Enttäuschungen ergeben können!
- Aufbau von unterstützenden Beziehungen: Umgebe Dich mit Menschen, denen Du wirklich vertrauen kannst und die dich unterstützen, ermutigen und positiv beeinflussen! Eine starke soziale Unterstützung kann Dir helfen, mit dauerhaften oder sich wiederholenden Enttäuschungen umzugehen und gestärkt daraus hervorzugehen.
- Geduld und Beharrlichkeit: Sei geduldig mit Dir selbst und gib Dir Zeit, um Dich von dauerhaften Enttäuschungen zu erholen. Sei fürsorglich und gnädig mit Dir selbst! Der Prozess der Bewältigung kann Zeit in Anspruch nehmen, aber mit Beharrlichkeit und einem zunehmend positiven Mindset kannst Du es schaffen.
Lieber Prof. Klein,
Ich fühle mich zu 100% dargestellt, vielen Dank! Wir sehen uns auf der FASD Jahrestagung, ich freue mich schon sehr!
Herzliche Grüße
Carolin Schürmann