Ist „People Pleasing“ ein typisches Angehörigenverhalten?

Der Begriff des „People Pleasing“ ist inzwischen in Deutschland weit verbreitet und wird immer bekannter. Dies ist als Hinweis auf eine zunehmende Sensibilisierung für das Problem anzusehen, es anderen Menschen immer recht machen zu müssen und eigene Bedürfnisse völlig zu vernachlässigen. Denn dies sind die Hauptmerkmale des „People Pleasing“. Im folgenden Beitrag werden Hintergründe, Symptome und Lösungen für ein selbstschädigendes Verhalten mit Schwerpunkt auf Angehörige von Suchtkranken dargestellt. Gerade bei Angehörigen von Suchtkranken besteht die Möglichkeit, dass sie sich durch ihr im Kern wohlmeinendes und sorgendes Verhalten auf Dauer selbst schädigen.

Die seit Jahrzehnten propagierte Idee der Co-Abhängigkeit als Grundmerkmal bei Angehörigen von Suchtkranken ist im Vergleich so unklar beschrieben und nur diffus fassbar, dass das hier vorgestellte Konzept den Vorteil der größeren Klarheit und Präzision aufweist. Gleichzeitig ist klar, dass „People Pleasing“ nicht auf alle Angehörigen zutrifft, sondern eine klar definierbare Subgruppe beschreibt. „People Pleasing“ ist im Übrigen auch kein neues Verhalten und auch kein neuer Begriff. Auf Deutsch wurde dieses Verhalten früher mit den Begriffen Anerkennungs- und Bestätigungssucht oder auch Harmoniesucht bezeichnet. Für die heutige Betrachtung bleibt es bei dem moderneren Begriff des „People Pleasing“, alleine schon weil er auch bei Betroffenen stärker auf Akzeptanz stößt als die deutschsprachigen Begriffe.

Bin ich ein „People-Pleaser“?

Ein „People Pleaser“ ist eine Person, die die Bedürfnisse anderer generell über ihre eigenen stellt. Dies kann zwanghafte Züge annehmen, so dass ein Unterlassen des Verhaltens gar nicht mehr gelingt. Erst dann kann man von einem „People Pleaser“ im wahren Sinne sprechen. Man kann auch sagen: „People Pleasing ist das bewusste oder unbewusste Unterdrücken der eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Gefühle und Meinungen, um andere Menschen an erste Stelle zu setzen und so Aufmerksamkeit, Zuneigung, Bestätigung, Liebe oder Anerkennung zu bekommen oder Konflikten, Kritik, Enttäuschungen, Verlust, Zurückweisung oder dem Verlassenwerden aus dem Weg zu gehen“. 

Im Hintergrund stehen bei der betroffenen Person oft Gefühle von Angst (vor Versagen und Zurückweisung), Schuld (Fehler gemacht zu haben; etwas Falsches gesagt zu haben) und Scham (unpassend und unakzeptabel zu sein). Oft kennt der „People Pleaser“ seine eigenen Bedürfnisse gar nicht oder nimmt diese nicht in hinreichender Weise wahr. Schon als Kinder haben sie meist mehr nach den Bedürfnissen anderer geschaut als auf ihre eigenen

Kinder suchtkranker Eltern zeigen früh Symptome von „People Pleasing“

Dieses Verhalten entspricht der Lebenssituation von Kindern suchtkranker (und psychisch kranker) Eltern, die sich gezwungen sehen, sich so intensiv um ihre kranken Eltern zu kümmern, dass nicht mehr genügend Platz und Zeit für sie selbst bleibt. Das Verhalten, das sie dann ausführen, wird als Parentifizierung bezeichnet. Man kümmert sich dann als Kind in fürsorglicher, aber auch kontrollierender Weise um die eigenen Eltern bzw. um ein Elternteil. Hier wachsen Scham, Angst und Schuld als überwertige Gefühle im Hintergrund heran, die später zu fragilem, geringem Selbstwert als Angehörige eines Suchtkranken beitragen.Parentifizierte Kinder sind im Erwachsenenalter sehr auf Akzeptanz und Zuwendung durch andere eingestellt. Sie erwarten innerlich oft Zurückweisung und Nicht-Akzeptanz durch andere. Sie weisen damit ein Defizit an Autonomiefähigkeitund Selbstständigkeit auf und zeigen in den Persönlichkeitsbereichen Dependenz und Unsicherheitmeist hohe Werte.

Die Personen selbst werden vom Umfeld meist oft als angenehm, hilfsbereit und freundlich, aber auch als übermäßig angepasst, ohne eigene Meinung und ohne Konturen angesehen. „People Pleasing“ ist mehr als Freundlichkeit oder Höflichkeit. Es entspricht eher übertriebener Unterwürfigkeit und Servilität. Für die Betroffenen selbst führt das Verhalten zu einer Selbstvergessenheit und Selbstvernachlässigung, die sich auf Dauer -psychologisch und sozial – schädlich auswirken können. „People Pleaser“ haben auf der Grundlage ihres Verhaltensmusters Schwierigkeiten, für sich selbst einzutreten, was zu einem schädlichen Verhalten der Selbstaufopferung oder Selbstvernachlässigung führen kann. Dabei ist ihr soziales Grundbedürfnis von positiver Natur, aber ins Extreme und Zwanghafte übersteigert.

Wie wird man „People Pleaser“?

Die Ursachen für das übermäßige, zwanghafte „People Pleasing“-Verhalten liegen meist in der Kindheit der Betroffenen. Neben Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch, die dauerhafte Ängste in der Persönlichkeit erzeugen können, ist es vor allem die innere Scham, nicht richtig und passend zu sein, die „People Pleasing“ erzeugen kann. Diese Scham entsteht vor allem dann, wenn die Eltern die Bedürfnisse des Kindes nicht befriedigen können, weil sie selbst zu bedürftig oder zu wenig bindungsfähig sind. Dies ist – wie beschrieben – oft bei Kindern chronisch kranker Eltern (vor allem Sucht, Depression) der Fall. Bis zu 40% der Angehörigen von Suchtkranken sind erwachsene Kinder suchtkranker Eltern, zahlreiche weitere erwachsende Kinder depressiver oder anderweitig psychisch kranker Eltern. Natürlich sind nicht alle Angehörigen von Suchtkranken „People Pleaser“. Es ist eines von verschiedenen möglichen Interaktionsmustern zwischen Angehörigen und Suchtkranken, aber ein besonders häufiges. 

Es liegt bei diesen Kindern eine tiefe innere Verunsicherung des Selbst vor, so dass chronisches, starkes „People Pleasing“ als ein Folgeproblem in ihrer Persönlichkeit angesehen werden kann. Betroffene Personen haben bei starker Ausprägung des Problemverhaltens meist ein fragiles Selbst, leiden unter Selbstunsicherheit, Selbstwertproblemen und hoher sozialer Ängstlichkeit. Sie suchen dann in einer Partnerbeziehung mit einer vermeintlich starken Person Stabilität und Sicherheit. Nicht selten entwickeln sie in dieser Konstellation längerfristig jedoch Stresssymptome und psychische Probleme. 

Motivation für „People Pleasing“

Die Motivation eines „People Pleasers“ ist es, in jedem Fall und unbedingt Anerkennung, Bindung, Zuneigung, positives Feedback und Liebe zu bekommen. Ob dies durch die Familie, den Partner oder andere nahestehende Menschen erfolgt, ist gar nicht so entscheidend. Wichtig ist vielmehr, dass dieses Verhalten dauerhaft auftritt und kaum Ausnahmen kennt. Dahinter steckt schlicht und ergreifend die Angst davor, abgelehnt zu werden. Auch wenn der „People Pleaser“ davon überzeugt ist, das Gute und Richtige zu tun, schädigt er sich selbst immer mehr, da er in Wirklichkeit in seiner inneren Wertehierarchie an letzter Stelle steht und daher immer zu kurz kommt.

Symptome und Kernmerkmale des „People Pleasing“

Bei allen Unterschieden in Biographie und Persönlichkeit, die es zwischen „People Pleasern“ und Angehörigen von Suchtkranken gibt, wiederholen sich einige Merkmale auffällig oft: 

  • Geringes Selbstwertgefühl: Manchmal verhalten sich Menschen, die anderen gefallen wollen, harmoniesüchtig und dependent, weil sie ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht wertschätzen. Aufgrund mangelnden Selbstvertrauens haben Menschen, die es lieben anderen zu gefallen, ein Bedürfnis nach äußerer Bestätigung. Sie erleben dann, dass das Erledigen von Dingen für andere zu Anerkennung und Akzeptanz führt. Dies hält jedoch nur kurzfristig an und muss oft wiederholt werden, um das eigene Selbstwertgefühl immer wieder hochzuhalten.
  • Unsicherheit und Scham: In vielen Fällen versuchen Menschen, anderen zu gefallen, weil sie befürchten, dass andere Menschen sie nicht mögen, wenn sie nicht alles tun, um sie glücklich zu machen. Dies erzeugt eine große innere Unsicherheit, Fehler zu machen. Die Betroffenen empfinden dann Scham, nicht richtig zu sein, nicht zu passen, und überschreiben dieses Gefühl, das auf der Basis irrationaler Gedanken entstanden ist, mit übermäßiger Anpassung und Gefälligkeiten.
  • Perfektionismus: Manchmal wollen Menschen, dass alles “einfach so” ist, auch wie andere Menschen denken und fühlen. Sie streben dann danach, den anderen, die perfekt erscheinen, alle Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, um selbst so zu werden wie diese. 
  • Vergangene Erfahrungen: Auch schmerzhafte, schwierige oder traumatische Erfahrungen – vor allem in der Kindheit – können eine Rolle beim „People Pleasing“ spielen. Menschen, die Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch erlebt haben, werden eher versuchen, anderen zu gefallen und so angenehm wie möglich zu sein, um nicht auf befürchtete Ablehnung oder Zurücksetzung zu stoßen. 

10 Hauptsymptome des „People Pleasing“

  1. Nicht „Nein” sagen können, stattdessen innerer Zwang zum „Ja“-Sagen
  2. Anderen immer zustimmen, selbst bei innerlich anderer Meinung
  3. Sich für die negativen Gefühle anderer verantwortlich oder schuldig fühlen
  4. Häufiges, unnötiges Entschuldigen
  5. Übermäßiger Stress durch Engagement und Tätigkeit für andere
  6. Mangelnde Abgrenzung gegenüber anderen („Verschwimmende Ich-Grenzen“)
  7. Kollabieren bei Kritik („Ich-Fragilität“)
  8. Übermäßige Anpassung an andere („Chamäleon-Effekt“)
  9. Sucht nach Bestätigung („Exzessive Dependenz“)
  10. Übermäßige Konfliktvermeidung

Das „People Pleasing“ ist im Kern eine Angststörung, die durch zwei Grundängste erzeugt und aufrechterhalten wird die Versagensangst und die Angst vor Ablehnung. Darauf setzt chronische Scham auf, nicht passend und im Kern falsch zu sein. Die Betroffenen jagen einem übertriebenen Bild von Perfektion hinterher. Sie wollen diese Perfektion in den Augen anderer erreichen, und versuchen, jeden Menschen in ihrem Umfeld zufrieden zu stellen. Gelingt das nicht, werden sie von Angst vor Ablehnung und dem Schuldgefühl gequält, andere enttäuscht zu haben.

„People Pleasing“ bei Angehörigen von Suchtkranken besonders stark?

Klassischerweise wird die Harmoniesucht als Problemverhalten Frauen zugeschrieben. Die meisten Studien zeigen keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern im „People Pleasing“. Es ist aber durchaus möglich, dass es Unterschiede hinsichtlich der Erscheinungsformen und differentiellen Merkmale zwischen den Geschlechtern gibt. Gerade bei Suchtstörungen ist schon lange bekannt, dass viel mehr Frauen als Angehörige betroffen sind (was zunächst natürlich mit der höheren Zahl suchtkranker Männer zusammenhängt), dass aber Frauen mit einem suchtkranken Partner sich seltener und dann auch später trennen, als dies umgekehrt der Fall ist. 

Die Merkmale, die sich bei Partnerinnen suchtkranker Männer besonders oft zeigen, sind folgende: 

(1) Übermäßig viel und lange Stress aushalten und sich nicht abgrenzen und wehren 

(2) Eher sich selbst schuldig fühlen und Vorwürfe machen, als den Partner zu konfrontieren

(3) Stilles Leiden. Nur unter dem „Siegel der Verschwiegenheit“ mit einer Freundin über die Probleme sprechen

(4) Die eigenen Bedürfnisse vernachlässigen und immer für den Partner und die Kinder da sein müssen

(5) Angst vor dem Alleinsein, Unfähigkeit sich zu distanzieren und negatives Selbstbild. Insgesamt sich immer häufiger wertlos und depressiv fühlen.

Konsequenzen im Verhalten

Es gibt im Verhalten von „People Pleasern“ vier zentrale Verhaltenstendenzen, die alle dazu dienen, immer wieder Bestätigung zu erhalten, Konflikte zu vermeiden und die Harmonie aufrechtzuerhalten. Diese sind: 


(1) Überanpassung: Sagen und handeln, was vermutlich von einem erwartet wird. Alles andere wird zurückgehalten oder unterdrückt

(2) Over-achieving: Ständig nach Perfektion und Fehlerfreiheit streben, um nicht kritisiert werden zu können

(3) Selbstaufopferung: Glauben, alles für andere geben zu müssen, um geliebt zu werden. Sich dadurch psychisch und physisch selbst vernachlässigen

(4) Selbstdiffusion: Eigene Werte und Ziele werden immer unwichtiger, verschwimmen immer mehr. Die Persönlichkeit beginnt zu zerfließen. 

Nicht alle vier Merkmale müssen bei „People Pleasing“ zwingend erfüllt sein. Einige „People Pleaser“ spüren ihre eigenen Bedürfnisse oder Einstellungen gegenüber anderen klar, trauen sich aber aus Angst vor Nicht-Akzeptanz oder Zurückweisung nicht, diese auszudrücken. Andere haben eine so starke Außenorientierung und schwache Ich-Grenzen, dass sie sich automatisch anderen unterordnen, deren Bedürfnisse erfüllen und ihnen jeden Gefallen tun müssen. Alle vier Grundmerkmale des „People Pleasing“ können bei Angehörigen von Suchtkranken erfüllt sein. Daher bedeutet die Überwindung dieser Verhaltenstendenzen einen wichtigen Schritt in Richtung Selbstfürsorge und eigener Psychohygiene. Am Ende des Beitrags können Sie lesen, wie dies konkret zu erreichen ist. 

Negative Konsequenzen des „People Pleasing“

Zunächst aber zu den negativen Konsequenzen dieses Verhaltens, die sich oft erst nach Jahren einstellen. Menschen, die ein intensives, unflexibles Verhalten als „People Pleaser“ zeigen, gefährden ihre Gesundheit und ihre sozialen Beziehungen. Es wurde schon nachgewiesen, dass noch stärkere Ängste (als ohnehin schon), Depressionen und sogar Essstörungen und Gewichtszunahme die Folgen sein können.  So zeigte sich in einer Studie, dass „People Pleaser“ mehr essen, wenn sie das Gefühl haben, anderen dadurch einen Gefallen zu tun. Dies tun sie auch, wenn sie selbst weder Hunger noch Appetit verspüren. In der Folge – auch dies ein Studienergebnis – zeigte sich, dass People Pleasing mit Übergewicht einhergehen kann.

Chronisches „People Pleasing“ führt auch zu problematischen sozialen Rollen, weil anderen Menschen das übertriebene Harmoniestreben und die dependenten Anteile natürlich nicht verborgen bleiben, und sie darauf – zumindest innerlich – mit Ablehnung oder Verachtung reagieren, auch wenn sie nach außen hin die Hilfe- und Dienstleistungen des „People Pleasers“ gerne in Anspruch nehmen. In Beziehungen mit Suchtkranken entwickelt sich eine Erwartungshaltung des „Sich-Verlassens“. Der „People-Pleasing“-Partner wird es schon erledigen, mir helfen, egal wie schlecht ich ihn behandele. Diese Erwartungshaltung in – letzten Endes – inkonsequentes Verhalten stärkt die Tendenz zur Ausnutzung des Partners und führt für den „People Pleaser“ zu immer mehr Alltagsstress

Im Grunde gut…

„People pleaser“ weisen im Kern ein erwünschtes, sozial positives Verhalten auf, dass jedoch durch Zwanghaftigkeit und Ängste ins Übermäßige übersteigert ist. Letzten Endes schädigen sie sich durch die Exzessivität ihres Gutseins selbst. Für ihre empfundene Servilität werden sie oft von anderen – heimlich oder offen – belächelt, nicht ernst genommen oder gar zurückgewiesen. Bei den „People Pleasern“ stehen die Bedürfnisse nach Bindung und Selbstwertbestätigung und -erhöhung ganz im Vordergrund. Diese gehören zu den für alle Menschen zentralen Bedürfnissen – neben Luststeigerung und Unlustvermeidung sowie Orientierung und Kontrolle.

Durch Defizite – vor allem in der Kindheit, aber auch im späteren Leben – sind die erstgenannten Bedürfnisse jedoch ins Extreme übersteigert, so dass sie im psychischen System der Person und im Verhalten zu überwertigen Motiven werden. Das Besondere bei „People Pleasern“ ist, dass die Angst vor Nicht-Befriedigung der Bedürfnisse nach Bindung und Selbstwertbestätigung so groß ist, dass sie alles dafür tun und bereit sind, sich selbst bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen, um Akzeptanz und Erfüllung dieser Bedürfnisse durch andere zu erhalten. Sie machen sich dadurch in extremer Weise von anderen abhängig. 

Die Folgen von „People Pleasing“ sind oft dramatisch

„People pleasing“ ist in jedem Fall ein Verhalten im Ungleichgewicht. Für die Betroffenen ist das dauernde übermäßige Kümmern um die Bedürfniserfüllung anderer ein hoher Stressfaktor im Alltag. Als Konsequenzen sind nicht nur die schon beschriebenen gesundheitlichen (Angstspirale, Depression) und sozialen (Randständigkeit, latente Ablehnung) Folgen relevant. Auch im Selbst des „People Pleasers“ verändert sich etliches auf die lange Sicht zum Schlechten: Das oft schon geringe Selbstbewusstsein verringert sich weiter, die Ängste vor Ablehnung und Nicht-Akzeptanz nehmen zu, die eigene Meinung wird oft gar nicht mehr erkannt und vor sich selbst zugelassen.

„People Pleasing“ ist auf Dauer anstrengend. Nur zu geben, sich permanent zu verstellen, die eigene Meinung runterzuschlucken, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu ignorieren – das ist viel Stress für das Ich und schadet dem Selbstwertgefühl. Insgesamt wird die Person immer anfälliger für Einsamkeit, negatives Selbstbild und die Gefahr, ausgenutzt zu werden. „People Pleaser“ sollten auf Dauer Hilfe für ihre Probleme einholen, um sich besser abgrenzen und für die eigenen Bedürfnisse eintreten zu können. Diese Hilfe kann für Angehörige von Suchtkranken in einer entsprechenden Selbsthilfegruppe (z.B. Al-Anon) oder einer ambulanten Psychotherapie liegen. 

Die extremste Form von „People Pleasing“: Soziotropie

Menschen im Extrem gefallen zu müssen, ist oft mit einem Persönlichkeitsmerkmal verbunden, das als “Soziotropie” bezeichnet wird. Es ist das dauerhafte Streben und innerliche Damit-Beschäftigtsein, anderen zu gefallen und deren Zustimmung und Zuwendung zu erhalten. Im Hintergrund besteht eine große Angst, nicht mehr gemocht und zurückgewiesen zu werden. Soziotropie ist durch eine übermäßige Investition in zwischenmenschliche Beziehungen gekennzeichnet. Sie ist das Gegenteil von Autonomie. Deshalb passt soziotropes Verhalten ideal zur Suchterkrankung eines Partners, weil in einer suchtbelasteten Familie oder Partnerschaft Autonomie vom Suchtkranken als bedrohlich empfunden wird. 

Soziotrope Menschen verhalten sich wie Satelliten, die hingebungsvoll um andere kreisen, um Selbstbestätigung durch Fremdbestätigung zu erlangen. Sie wollen mit allen Mitteln und jederzeit anerkannt und akzeptiert werden und sind bereit, dafür alles zu geben. Deshalb entstehen regelhaft unangenehme bis hin zu entwürdigenden Situationen, etwa wenn eine Person von einer anderen beschimpft und erniedrigt wurde, und sie sich daraufhin noch unterwürfig verhält. Denn für sie sind die negativen Verhaltensweisen des anderen ein Gefahrensignal, dass sie dessen Zuneigung verlieren könnte.

Soziotropes Verhalten dient kurzfristig der Beruhigung von Ängsten, ist aber auf die lange Sicht selbstwertschädigend und selbstentwürdigend. Typische soziotrope innere Grundannahmen sind dann auch Leitsätze wie „Ich kann ohne Dich nicht leben“, „Wenn jemand eine andere Meinung hat, mag er mich nicht“ oder „Um glücklich zu sein, muss ich unbedingt von allen anderen akzeptiert und gemocht werden“.

Die soziotrope Persönlichkeit schenkt anderen Menschen übertriebene Aufmerksamkeit und Zuneigung, um immer akzeptiert und gemocht zu werden. Sie überhäufen ihre Mitmenschen mit freundlichen Worten, Komplimenten und oft auch mit Gefälligkeiten und Geschenken. In der Folge grenzt ihr Verhalten meist an Unterwürfigkeit, sie versuchen verzweifelt, Anerkennung zu erlangen. In vielen Fällen ist die Soziotropie mit starken inneren Ängsten, einer Depression oder Problemen der Persönlichkeit (vermeidende, dependente oder emotional-instabile Persönlichkeit) bis hin zu einer chronischen Persönlichkeitsstörung verbunden. 

Wie kann man sich „People Pleasing“ abgewöhnen?

Jahrelange tiefsitzende Gewohnheiten abzulegen, funktioniert nicht von heute auf morgen. Es bedarf neuer Rituale, die regelmäßig und oft verfestigt werden müssen. Wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse aber besser wahrnehmen und im Blick behalten, ist das ein erster Schritt, für sich selbst einstehen und sich somit besser akzeptieren zu können. Ist der Leidensdruck sehr hoch und sind psychische Folgeprobleme wie Angststörung oder Depression entstanden, kann auch psychotherapeutische Hilfe ratsam sein. 

Sechs Tipps zur Reduktion des „People Pleasing“

1. Machen Sie sich nachhaltig klar, dass übermäßiges Gefallen erweisen und vielleicht sogar Geschenke machen weder Freundschaften noch Liebe erzeugen oder erhalten können! Sie werden wirklich gemocht oder geliebt wegen ihrer Persönlichkeit und nur dafür. Alles andere zählt auf Dauer nicht. Mit Gefälligkeiten und Dienstleistungen, die Sie aus Angst vor Liebesverlust erbringen, können Sie nachhaltig keine Zuwendung „erkaufen“. Suchen Sie nach Beispielen aus Ihrem Leben für diese Weisheit und machen Sie sich Notizen dazu!

2. Wenn Sie jemand um einen Gefallen bittet, antworten Sie nicht automatisch in einer Sekunde mit „ja“, sondern überlegen Sie in Ruhe (mindestens 5 Sekunden oder länger), ob Sie wirklich „ja“ sagen wollen! Gönnen Sie sich diese Zeit als erster Schritt in Richtung verbesserter Selbstfürsorge!

3. Sagen Sie gerne auch einmal „nein“, wenn Sie sich überfordert, ausgenutzt oder nicht zuständig fühlen! Wenn die andere Person sich anschließend von Ihnen zurückzieht, war es kein echter Freund (keine echte Freundin). Es wird Ihnen helfen, echte von falschen Freunden zu unterscheiden. Damit wählen Sie die Menschen als Partner oder Freund aus, die Ihnen wirklich guttun.

4. Tun Sie jeden Tag ganz bewusst etwas für sich selbst, etwas was Ihnen wirklich gut tut und Ihr Wohlbefinden steigert! Stärken Sie täglich Ihre Autonomie! Führen Sie ein Tagebuch dazu, das wird Sie später zufrieden und stolz machen, was Sie schon erreicht haben! Wenn Sie es an einem Tag vergessen, setzen Sie am nächsten Tag wieder ein!

5. Beginnen Sie mit Ihren Veränderungen langsam und mit realistischen Schritten! Belobigen Sie sich selbst, auch für kleine Schritte! Dazu ist ein positives Selbstgespräch geeignet. So kann sich langsam Mut und Zuversicht für weitere Schritte und Erfolge aufbauen. 

6. Wenn Ihr Partner noch Suchtmittel konsumiert oder verhaltenssüchtig ist, holen Sie sich selbst Hilfe! Seien Sie es sich selbst Wert genug, dies für sich zu tun!

Empfehlung zum Abschluss

Machen Sie sich klar: „People Pleasing“ führt nicht dauerhaft zum erwünschten Erfolg. Wer sich permanent aufopfert, wird oft ausgenutzt, nicht ernstgenommen und erlangt gar nicht die Beliebtheit, die er sich erhofft. Oftmals finden wir die Menschen interessanter, die nicht um jeden Preis gefallen wollen, die Rückgrat haben und ihre Meinung vertreten. Es zeugt von gesundem Selbstwert, für sich und seine Bedürfnisse einzustehen, sich von anderen Menschen abzugrenzen und das eigene Leben selbstbewusst zu gestalten. Wenn Ihr Partner suchtkrank ist, bedeutet Abgrenzung nicht, dass Sie unmenschlich sind, sondern dass Sie für Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden eintreten. Und das ist gut so! Ein geeignetes Lebensmotto ist: „Ich muss nicht um jeden Preis gefallen, um geliebt und akzeptiert zu werden.“ Natürlich können Sie nach wie vor anderen helfen, wenn Sie dies wirklich wollen, aber nicht aus Angst vor Ablehnung. 

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