Medikamentenabhängigkeit – von Maschmeyer, Promis und Normalos (ein Weckruf)

Im Herbst 2021 ist das Thema „Medikamentenabhängigkeit“ durch die biographischen Veröffentlichungen des Unternehmers und Medienstars („In der Höhle der Löwen“) Carsten Maschmeyer in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, so dass dies als Weckruf für ein allzu latentes Problem dienen kann. Im Juli 2010 habe er nach einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik seine Sucht besiegt, so der TV-Investor jetzt im Podcast. Begonnen habe alles mit dem eher beiläufigen Konsum von Schlaftabletten im Jahr 2003. In seinem Buch schreibt Maschmeyer über den lange Zeit allzu sorglosen Umgang mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, nachdem er wegen Stresssymptomen diese verschrieben bekommen habe, und wie er nach Jahren seine Abhängigkeit bekämpft hat. Er berichtet, u.a. auch gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“, dass er den Ausstieg aus dem Teufelskreis der Sucht vor allem dank seiner Ehefrau, der Schauspielerin Veronika Ferres, geschafft habe.

Beispiel Carsten Maschmeyer: In der Prominentenwelt herrschen besondere Suchtrisiken – Prävention und frühe Hilfen sind wichtig

Prominente sind besonders gefährdet, eine Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten oder Drogen zu entwickeln. Dafür sind Gründe wie erhöhter Stress, viele Reisen, Angst vor Statusverlust und veränderte Lebensrhythmen verantwortlich. Auch Probleme hinsichtlich Realitätsbezug und irrealem Selbstbild können sich entwickeln. Insgesamt sollten Betroffene bei beginnenden Problemen frühzeitige Hilfen (Coaching, Psychotherapie) in Anspruch nehmen. Zur Professionalität bei einem Prominentenleben in der Öffentlichkeit gehört auch die Selbstfürsorge gegenüber Sucht- und Abhängigkeitsproblemen. Die Problemlagen von Prominenten hängen sehr stark mit den Anforderungen der modernen Medienwelt zusammen, so dass individuelle Schuld- und Schamgefühle nicht Überhand nehmen sollten (vgl. „Prominente, Drogenkonsum und Sucht“).

Was ist das Problem?

Medikamente, gemeint sind vor allem Beruhigungsmittel (Benzodiazepine), Schmerzmittel (insbesondere opioidhaltige) und Schlafmittel (Z-Drugs), werden in ärztlicher Praxis zur Minderung oder Beseitigung der genannten Befindensstörungen verschrieben. Schon nach 4-6 Wochen können Abhängigkeitssymptome auftreten, die das Absetzen erschweren oder subjektiv gar unmöglich machen. Diese können alle zu Abhängigkeit führen und die Konsumenten in einen langfristigen Teufelskreis aus Verlangen nach Zustandsveränderung, Dosissteigerung und Verheimlichung der Abhängigkeit führen. Häufig treten am Ende die ursprünglich bekämpften Phänomene umso stärker wieder auf. Weil die Betroffenen sich unter den vorordneten Medikamenten zunächst besser fühlen und sich an die Anforderungen der Umwelt eine Zeit lang anpassen können, gilt die Medikamentenabhängigkeit auch als die „stille Sucht“. Die Betroffenen bleiben lange Zeit wegen ihrer angepassten Unauffälligkeit unsichtbar und am Ende ziehen sie sich sogar noch mehr aus Alltag und Umfeld zurück.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Aufgrund der Tatsache, dass die Abhängigkeit (Sucht) schleichend entsteht und lange verheimlicht wird, ist es schwierig die genaue Zahl der medikamentenabhängigen Menschen zu ermitteln. Glaubwürdige Schätzungen oder Stichprobenerhebungen kommen zu einer Zahl von 1.2 bis 1.7 Mill. Betroffenen von Medikamentenabhängigkeit in Deutschland. Die größte Gruppe mit ca. 1 Mill. Abhängigen bezieht sich dabei auf Benzodiazepine, die meist als Beruhigungsmittel oder zur Angsttherapie eingesetzt werden. Nur die wenigsten davon kommen bislang in eine suchttherapeutische Behandlung.

Maschmeyer und die Medikamentenabhängigkeit: Welche Personen sind sonst betroffen?

Carsten Maschmeyer stellt im Kontext der Medikamentenabhängigkeit ein typisches Beispiel dar, da schwerpunktmäßig Menschen ab dem 50. Lebensjahr betroffen sind. Natürlich sind die meisten betroffenen Menschen keine Prominenten, sondern ganz normale Menschen aus der Allgemeinbevölkerung. Da Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel immer im Kontext mit körperlichen und psychischen Problemen verordnet werden, sind Personen mit entsprechenden Symptomen, die ihren Hausarzt oder einen Psychiater aufsuchen, die primär relevante Gruppe. Die erwähnten Probleme können auch aus beruflichem Stress, Lebensproblemen (Trennung, Scheidung, Arbeitsplatzverlust, „midlife-crisis“, Burnout usw.) resultieren. Etwa 65% der Medikamentenabhängigen sind Frauen, 35% Männer. 

Was sind die Symptome einer Medikamentenabhängigkeit?

Ähnlich wie bei anderen Suchterkrankungen sind die Hauptsymptome:

(1) ein subjektiv nicht mehr kontrollierbares Verlangen nach dem Medikament, vor allem wenn ein Absetzen angezeigt ist oder veranlasst wurde.

(2) Es entwickelt sich eine verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums. Dieses Symptom wird auch Kontrollverlust oder – besser – Verminderung der Verhaltenskontrolle bezeichnet.

(3) Entzugserscheinungen beim Absetzen des Medikaments oder bei Reduktion der Einnahemenge, spürbar durch körperliche (Zittern, übermäßiges Schwitzen, Schmerzen) oder psychische (Unruhe, verstärkte Ängste, Übellaunigkeit, Schlafprobleme) Symptome.

(4) eine schleichende Dosiserhöhung (Toleranzentwicklung, Gewöhnung), die auch durch ein Umsteigen auf ein wirksameres Präparat vollzogen werden kann. Die Dosissteigerung kann sich durch metabolische Anpassung an das Medikament ergeben, weil dieses dann nicht mehr so wirksam ist.

(5) fortschreitende Vernachlässigung zentraler Lebensinhalte (Familie, Partnerschaft, Arbeit, Freundeskreis) aufgrund von Intoxikationsfolgen oder wegen Scham und Schuldgefühlen aufgrund des Medikamentenkonsums.

(6) anhaltender, fortgesetzter Konsum trotz des Nachweises eindeutiger negativer Folgen (Arbeitsplatzverlust, Trennung, Frühberentung). Von den genannten 6 Kriterien müssen mindestens 3 zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten 12 Monate erfüllt sein. 

Was sind die am häufigsten verschriebenen Medikamente mit Abhängigkeitspotential?

Nach dem epidemiologischen Suchtsurvey (Pabst et al., 2013) konsumieren 4.2 Mill. Menschen täglich Schmerzmittel (alle Formen), 0.8.Mill. Schlafmittel, 1.2 Mill. Beruhigungsmittel und 0.3 Mill. Anregungsmittel. Nach den DSM-IV-Kriterien sind 3.4 Millionen Menschen von Schmerzmitteln, 0.8 Mill. von Schlafmitteln und 1.4 Mill. von Beruhigungsmitteln abhängig. Im Jahre 2012 wurden rezeptfreie Schmerzmittel im Wert von 220 Mill. € und rezeptpflichtige im Wert von 288 Mill. € umgesetzt (Soyka, 2016).

Nicht alle Konsumenten sind abhängig. Im Bereich der Krebs- und Palliativbehandlung sind Schmerzmittel oft unverzichtbare Präparate. Im Bereich der Schlafmittel beträgt der Umsatz jährlich mehr als 15 Mill. €. Das am häufigsten verordnete Medikament mit Abhängigkeitspotential ist Zopiclon-CT, gefolgt von Zolpidem. Bei den Beruhigungsmitteln (Tranquilizer) beläuft sich der Gesamtabsatz auf 8.2 Mill € (Soyka, 2016). Die am häufigsten verordneten Tranquilizer sind Tavor, Diazepam, Bromazanil und Oxazepam.

Was tun bei Medikamentenabhängigkeit?

Da sich eine Medikamentenabhängigkeit meist schleichend entwickelt und die Betroffenen in der Regel einerseits eine innere Bindung – bisweilen starke Fixierung als psychische Abhängigkeit – an ihr Medikament entwickelt haben, andererseits aber die Entwicklung oder das Vorhandensein einer Abhängigkeit abwehren, ist der Einstieg in eine Veränderung meist schwierig und langwierig. Dies bedeutet, dass eine Motivation sich nur schrittweise entwickelt und dass dafür spürbare negative Folgen der Medikamentenabhängigkeit, wie auch bei Carsten Maschmeyer, vorliegen müssen (vgl. „Die 8F der Suchttherapie – Veränderung beginnt mit F!“).

Den Angehörigen kommt eine große Bedeutung und wichtige Rolle zu. Einerseits, dass sie gut für sich sorgen im Angesicht der Sucht des Partners, andererseits, dass sie ihn fordern und begleiten, wenn es in Richtung Veränderung. Am Anfang sollte eine stationäre Entzugsbehandlung stehen. Dann kann über eine stationäre oder ambulante suchttherapeutische Kernbehandlung entschieden werden. Psychotherapie zur Veränderung der Ausgangssituation, die zum Konsumproblem geführt hat, steht dabei im Zentrum, um die Entwicklung von Ressourcen und Lebensperspektiven in Richtung Wohlbefinden und guter Balance zu befördern. Gerade bei älteren Menschen mit Medikamentenabhängigkeit sollte eine längerfristige ambulante oder stationäre Behandlung eingeplant werden. Um wieder Lebensqualität und Lebensperspektiven zu erhalten, ist dies eine lohnende und wichtige Perspektive. 

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